Die Widerlegung der MAXWELL’schen Elektrodynamik mit Hilfe des Unvollständigkeitssatzes von Kurt GÖDEL

FRIEBE, Ekkehard (1994): „Die Widerlegung der MAXWELL’schen Elektrodynamik mit Hilfe des Unvollständigkeitssatzes von Kurt GÖDEL“,
DPG-Didaktik-Tagungsband 1994, S. 509 – 514. Hrsg.:
Deutsche Physikalische Gesellschaft (Überarbeitete Fassung vom 22. Oktober 2002


a) Zusammenfassung

Im Jahre 1931 veröffentlichte Kurt GÖDEL den nach ihm benannten Unvoll­ständigkeitssatz. Dieser besagt unter anderem, daß die Widerspruchsfreiheit eines Axiomensystems selbst zu jenen Aussagen gehört, die innerhalb dieses Systems unbeweisbar sind. – Die aus dem Jahre 1865 stammende MAXWELL’sche Elektrodynamik ist vermutlich niemals unter diesem Ge­sichtspunkt untersucht worden. Die diesbezügliche Analyse führt zu dem Ergebnis, daß die MAXWELL’sche Elektrodynamik – unter Einbeziehung ihrer physikalischen Interpre­tation – in sich widersprüchlich und daher in ihren erkenntnis­wissen­schaft­lichen Folgerungen wertlos ist.


Zeichnen, von M. C. Escher (Lithographie, 1948)

Anmerkung: Die Bilder „Zeichnen“ und „Treppauf, Treppab“ sind dem Buch von HOFSTADTER (1992), Seite 734 bzw. Seite 14, entnommen.

b) GÖDELs Unvollständigkeitssatz

Der Unvollständigkeitssatz von Kurt GÖDEL wird allgemeinverständlich und sehr ausführlich besprochen in dem preisgekrönten Buch von HOFSTADTER (1992). Dort heißt es (Zitat von Seite 19, Zeile 2 ff):

„In seiner absolut reinsten Fassung stellt Gödels Entdeckung die Über­setzung einer uralten philosophischen Paradoxie in die Sprache der Mathematik dar. Es handelt sich um die sogenannte Epimenides- oder Lügner-Paradoxie. Epimenides war ein Kreter, der einen unsterblichen Satz aussprach: ,Alle Kreter sind Lügner.‘ Eine verschärfte Version dieser Aussage lautet einfach: ,Ich lüge‘ oder: ,Diese Aussage ist falsch.’“ (Ende des Zitats)

HOFSTADTER führt weiter aus (Zitat von Seite 23, Abs. 3 ff):

„In diesen Paradoxien steckt anscheinend immer der gleiche Haken:
Selbstbezüglichkeit oder „Seltsame-Schleifen-Bildung“. Wenn man sich also das Ziel setzt, alle Paradoxien zu eliminieren, warum versucht man nicht, Selbstbezüglichkeit und alles was dazu führen könnte, zu elimi­nieren? Das ist nicht so leicht wie es scheint, denn unter Umständen ist es schwierig, festzustellen, wo Selbstbezüglichkeit auftritt. Sie kann sich über eine ganze Seltsame Schleife mit verschiedenen Schritten aus­breiten wie in der ,erweiterten‘ Fassung des Epimenides, die an Eschers Zeichnen erinnert: Der folgende Satz ist falsch.
Der vorhergehende Satz ist richtig.

Treppauf, Treppab, von M. C. Escher (Lithographie, 1960)

Zusammen haben diese Sätze die gleiche Wirkung wie die ursprüngliche Para­doxie des Epimenides; jeder für sich ist aber harmlos und sogar möglicherweise nützlich. Die ,Schuld‘ für diese Seltsame Schleife kann nicht einem der beiden Sätze zugeschrieben werden, sondern nur der Art, wie sie gegenseitig aufeinander verweisen. Gleichermaßen ist der lokale Einzelteil von Treppauf, Treppab durchaus legitim, erst die Art und Weise, wie sich die Teile zu einem globalen Ganzen zusammenfügen, schafft etwas Unmögliches. Da es direkte und indirekte Möglichkeiten gibt, Selbstbezüglichkeit herzustellen, muß man ausfindig machen, wie man beide Arten gleichzeitig eliminieren kann – wenn man in der Selbstbezüglichkeit die Wurzel allen Übels sieht.“ (Ende des Zitats)

In diesem Zusammenhang sind noch folgende Aussagen von HOFSTADTER wichtig (Zitate von Seite 103, vorletzter Absatz, bis Seite 104, erster Absatz):

„Es zeigt sich nunmehr, daß Widerspruchsfreiheit nicht eine Eigenschaft eines formalen Systems als solchen, sondern von der dafür vor­ge­schla­ge­nen Interpretation abhängig ist. Aus dem gleichen Grund ist Wider­sprüch­lich­keit keine intrinsische Eigenschaft irgendeines for­malen Systems.“ „Nun aber wollen wir genau sagen, was man unter Widerspruchsfreiheit eines formalen Systems (zusammen mit einer Interpretation) versteht: daß jeder SATZ, wenn interpretiert, zu einer wahren Aussage wird. Und wir werden sagen, daß Widersprüchlichkeit dann vorliegt, wenn sich unter den interpretierten SÄTZEN zumindest eine falsche Aussage befindet.“ (Ende der Zitate)

c) MAXWELLs Elektrodynamik

Die Elektrodynamik von MAXWELL (1865) ist seit ihrer ersten Formulierung vielfach verändert worden. Ihre Kernaussage ist aber stets die gleiche geblieben und findet ihren Ausdruck in den folgenden Gleichungen. Man nennt sie auch die homogenen Gleichungen der MAXWELL’schen Elektrodynamik:

Dabei sind Õ0 und Ü0 – gemäß Voraussetzung – von Ort und Zeit unabhängige Konstanten, aus denen nach Lehrbuchaussagen die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit c errechnet werden kann. Der Operator ‚rot‘ in den vorstehenden Gleichungen stellt in bekannter Weise eine spezielle Differentiation nach drei Raumkoordinaten dar.

Mit dem Begriff ,“Raum“ im Zusammenhang mit den drei Raumkoordinaten ist schon eine erste Interpretation verbunden. Wie jedoch HOFSTADTER ausführt [siehe Abschnitt b) vorliegender Arbeit], ist aufgrund der von GÖDEL formulierten Erkenntnis streng zu unterscheiden zwischen dem rein formalen, mathematischen System, das in vielen Fällen nicht zu entscheiden gestattet, ob Widerspruchsfreiheit vorliegt oder nicht, und dem interpretierten System, aufgrund dessen erst Widersprüche erkennbar werden.

Die Glgn. (1) und (2) lassen erkennen, daß sie gegenseitig aufeinander verweisen. Denn das E auf der rechten Seite von GIg. (1) tritt in GIg. (2) links wieder auf. In gleicher Weise tritt das H der rechten Seite von GIg. (2) in GIg. (1) links wieder auf.

In dem System der Glgn. (1) und (2) ist – bei Fortfall jeglicher Interpretation – ein Widerspruch nicht ersichtlich. Auch eine Betrachtung der ,erweiterten‘ Fassung des Epimenides (siehe oben):

Der folgende Satz ist falsch.
Der vorhergehende Satz ist richtig.

bringt uns hier nicht weiter. Denn bei keiner der beiden Gleichungen (1) und (2) wird unterstellt, daß eine von ihnen falsch sei. Denn beide gelten als experimentell bestens bestätigt. Das ist auch der Grund, warum die MAXWELL’schen Gleichungen von Theoretikern immer wieder überprüft und für widerspruchsfrei befunden wurden, während die Kritik schon seit vielen Jahren darauf hinweist, daß hierbei doch irgend etwas nicht stimmen könne.

Besonders deutlich hat Ivor CATT (1980) eine diesbezügliche Kritik ausge­sprochen. Er kommt nach eingehenden Untersuchungen zu dem Ergebnis (aus dem Englischen übersetztes Zitat aus der Arbeit CATT 1980, S.77, letzter Abs., bis S.78, erster Abs.):

Es ist schockierend, daß dieser Unsinn ein Jahrhundert lang als die für die elektromagnetische Theorie entscheidende Kernaussage überlebt hat. Wir erkennen, daß die mathematische Formulierung der elektromagnetischen Theorie – weit entfernt davon, den Gegenstand exakter zu machen – diese lächerlich und falsch gemacht hat. Wir sehen, daß die Mathematiker inkompetent sind dort, wo die physikalische Wirklichkeit beteiligt ist. Sie verbergen ihre lnkompetenz und verwirren andere durch das Heraufbeschwören von unsinnigen diesbezüglichen Formeln.“ (Ende des Zitats)

Dieser Aussage kann im wesentlichen zugestimmt werden; dennoch ist – wie Diskussionen ergeben haben – die mathematische Begründung von CATT hierzu fehlerhaft. Denn die von CATT behauptete Widersprüchlichkeit ist – den Aussagen von GÖDEL und HOFSTADTER entsprechend – innerhalb des formalen mathematischen Systems selbst nicht nachweisbar. Eine diesbezügliche Entscheidung ist deshalb nur aus der physikalischen Problematik heraus zu fällen. Dies soll im folgenden näher erläutert werden.

Für die Aufstellung der MAXWELL’schen Gleichungen kam dem Induktionsgesetz nach FARADAY eine besondere Bedeutung zu. Denn MAXWELL waren die umfangreichen Versuchsergebnisse von FARADAY bereits be­kannt. Die mathe­matische Beschreibung des Induktionsgesetzes durch die GIg. (2) hat sich seit vielen Jahrzehnten hervorragend bewährt. Es wird in der Fachliteratur zutreffend und sehr ausführlich behandelt.

Zur Formulierung der GIg. (1) dagegen führte MAXWELL – in Ermangelung experimenteller Ergebnisse – die Hypothese vom Verschiebungsstrom (displacement current) ein. Diese besagt, daß nicht nur – wie damals schon bekannt – Ströme in elektrischen Leitern von magnetischen Feldlinien, sondern daß auch zeitlich veränderliche elektrische Felder (vgl. rechte Seite der GIg. 1) von eben solchen magnetischen Feldlinien umgeben seien. Durch die sehr ausführlichen Untersuchungen von CATT (1978,1979) – in Verbindung mit CATT (1984) und CATT (1985) – ist inzwischen gezeigt worden, daß diese MAXWELL’sche Hypothese – entgegen einer weitverbreiteten Meinung – nicht der physikalischen Realität entspricht. Das eingehende Studium dieser Arbeiten von CATT wird empfohlen. Es ergibt sich daher, daß die GIg. (1) ersatzlos zu streichen ist [siehe: FRIEBE (1995)]. Zur Lichtgeschwindigkeit c ist eine theoretische Aussage nicht mehr möglich, da diese die Existenz zweier Gleichungen voraussetzt.

Eine weitere physikalische Problematik liegt vor allem in folgendem:

Aufgrund der Tatsache, daß die Größen Õ0 und Ü0 in der Literatur als Naturkon­stanten des leeren RAUMES (Vakuums) interpretiert wurden, ordnete man dem leeren RAUM, dem Vakuum, dem NICHTS physikalische Eigenschaf­ten zu [siehe: FRIEBE (2001/1988)]. Diese Zuordnung ist vergleichbar mit dem Begriff des absoluten Raumes in der NEWTON’schen Bewegungslehre. Aus dieser Zuordnung ergab sich die Folgerung einer absoluten Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Diese ist aber weder mit der Annahme eines Lichtmediums (Äthers) noch mit dem klassischen Relativitätsprinzip vereinbar, wie vor allem GUT (1981) überzeugend dargelegt hat. Außerdem ist die Be­hauptung einer absoluten Konstanz der Lichtgeschwindigkeit auch experi­mentell bereits widerlegt [siehe FRIEBE (1992)]. Es ergibt sich also, daß die MAXWELL’sche Elektrodynamik – unter Einbeziehung ihrer physikalischen Interpre­tation – in sich widersprüchlich und daher in ihren erkenntniswissenschaftlichen Folgerungen wertlos ist.

d) Literatur

CATT, I. (1978): „Displacement Current“ „Wireless World“, December 1978, p. 51 – 52

CATT, I. (1979): „The History of Displacement Current“ „Wireless World“, March 1979, p. 67 – 68

CATT, I. (1980): „Maxwell’s equations revisited“, „Wireless World“, March 1980, p. 77 – 78

CATT, I. (1984): „Fundamentals of electromagnetic energy transfer“, „Electronics & Wireless World“, Sept. 1984, p. 45 – 48, and Oct. 1984, p. 50 – 51

CATT, I. (1985): „The hidden message in Maxwell’s equations“, „Electronics & Wireless World“, Nov. 1985, p. 35 – 36, and Dec. 1985, p. 33, 34, 75

FRIEBE, E. (1992): „Das Dogma der Lichtgeschwindigkeit als Grenzgeschwin­dig­keit“, DPG-Didaktik-Tagungsband 1992, S. 552 – 555. Hrsg.: Deutsche Physika­lische Gesellschaft

FRIEBE, E. (1995): „Die Vektorprodukte der MAXWELL’schen Elektrodynamik“, DPG-Didaktik-Tagungsband 1995, S. 394 – 399. Hrsg.: Deutsche Physikalische Gesellschaft

FRIEBE, E. (2001): „Sind Dielektrizität und Permeabilität des Vakuums Natur­kon­stanten?“, (gekürzte und überarbeitete Fassung aus FRIEBE (1988): „Was sind physikalische Gesetze?“, Zeitschrift „raum & zeit“, 32/88, S. 88 – 91)

GÖDEL, K. (1931): „Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme, I.“, Monatshefte für Mathematik und Physik, Bd. 38, S.173 – 198

GUT, B. (1981): „Immanent-logische Kritik der Relativitätstheorie“, Verlag Rolf Kugler, CH-6317 Oberwil b. Zug, Schweiz

HOFSTADTER, D. R. (1992): „Gödel, Escher, Bach – ein Endloses Geflochtenes Band“, 2. Aufl., Klett-Cotta im Deutschen Taschenbuch Verlag

MAXWELL, J. C. (1865): „A Dynamical Theory of the Electromagnetic Field“, Philosoph. Transactions, London, p. 459 – 512

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