Das Energie-Erhaltungs-Prinzip – Ursache zahlreicher Mißverständnisse

FRIEBE, Ekkehard (1990):
„Das Energie-Erhaltungs-Prinzip – Ursache zahlreicher Mißverständnisse “, XVI. Energie-Erhaltungs-Prinzip, DPG-Didaktik-Tagungsband 1990, S. 654 – 659. Hrsg.: Prof. Dr. Wilfried Kuhn, Gießen

In Lehrbüchern wird das Energie-Erhaltungs-Prinzip häufig als Naturgesetz oder Erfahrungssatz dargestellt. Beides ist unrichtig, da dieses Prinzip ein von Menschen erdachtes Axiom ist, das sich unmittelbar aus dem Kausalitäts-Prinzip (Ursache = Wirkung, actio = reactio) ergibt. Das Kausalitäts-Prinzip seinerseits folgt zwingend aus dem Ausschluß der MAGIE (Zauberei) aus den Naturwissenschaften. Das Energie-Erhaltungs-Prinzip hat daher die Funktion einer Bilanzierungs-Vorschrift für Energie-Umwandlungs-Prozesse. Eine weitergehende erkenntniswissenschaftliche Folgerung ist nicht möglich.

1. Energie-Definition in mathematisch-integraler Schreibweise.

Zur Diskussion des Energie-Erhaltungs-Prinzips bedarf es eines eindeutigen Energie-Begriffes. Energie ist definitionsgemäß die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten. Deshalb basiert der Energie-Begriff auf dem klassischen Begriff der mechanischen Arbeit. Für den Arbeits-Begriff gilt die vereinfachte Definition:

Diese Definition setzt jedoch stillschweigend voraus, daß die Kraft längs des ganzen Weges richtungsgleich und konstant ist. Im allgemeinen ist dies aber nicht der Fall. Dann muß folgende, mathematisch exakte Definition verwendet werden:

Das Integral gemäß Definitions-Gleichung [2] ist wegen der erforderlichen Integrations-Konstanten K unendlich vieldeutig. Deshalb ist auch die potentielle Energie, die der Definitions-Gleichung [2] ursächlich zugrunde liegt, davon abhängig, ob man diese Energie auf den „Zimmerboden“, auf die „Kellersohle des Hauses“, auf den „Erdmittelpunkt“ oder ein anderes „Nullniveau der räumlichen Lage“ bezieht.

In gleicher Weise ist auch die kinetische Energie, die sich aus der potentiellen Energie ableiten läßt (beispielsweise Umwandlung von potentieller in kinetische Energie beim freien Fall), unendlich vieldeutig, je nachdem, auf welches Nullniveau der Geschwindigkeit (Bewegung) bezogen wird.

Bei Verwendung der Glg. [2], insb. bei bewegten Bezugs-Systemen (z. B. Fahrzeug, Flugzeug, Rakete, Sonne, Mond, Planet), ist deshalb stets die Bestimmung der Integrations-Konstanten zwingend notwendig (FRIEBE 1989). Nur bei ganz einfachen Verhältnissen auf der Erdoberfläche ergibt sich die Integrations-Konstante zu NULL. Aufgrund der erläuterten Vieldeutigkeit der Integrations-Konstanten kann daher das Energie-Erhaltungs-Prinzip leicht fehlerhaft verwendet werden.

Alle Energieformen beziehen sich grundsätzlich auf die oben definierte mechanische Energie. Eine spezielle Form der mechanischen Energie ist außerdem die Rotations-Energie.

Andere Energieformen sind z. B.:

Wärme-Energie        Chemische Energie        Elektrische Energie        Nukleare Energie

Da die Kraft in den Glgn. [1] und [2] auf die klassische Definition

zurückgeht, basieren alle Energie-Definitionen über das Energie-Erhaltungs-Prinzip auf dem Begriff der Masse. Der Massenbegriff ist aber in der modernen Physik mit vielen Unsicherheiten behaftet, wie JAMMER (1964) umfassend dargestellt hat. Auch aus diesem Grund bringt der Energie-Begriff und mit ihm das Energie-Erhaltungs-Prinzip erfahrungsgemäß Schwierigkeiten mit sich.

2. Die sogenannte Äquivalenz von Masse und Energie.

Um die Jahrhundertwende brachte die Entdeckung der Radioaktivität eine große Unruhe in die Naturwissenschaft. Man sprach vom „Großen Revolutionär RADIUM“. Man glaubte, das Energie-Erhaltungs-Prinzip sei empirisch, d. h. durch eindeutige Messungen an radioaktiven Stoffen, widerlegt worden. Es kristallisierten sich zwei grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen heraus.

Eine erste Gruppe von Naturwissenschaftlern erklärte, die neu entdeckte Energiequelle „Radioaktivität“ müsse im Rahmen des Energie-Erhaltungs-Prinzips neu eingeordnet werden. Deshalb wurde damals vermutlich erstmals das Energie-Erhaltungs-Prinzip nicht mehr als „Naturgesetz“ oder „Erfahrungssatz“ gedeutet, sondern lediglich als eine Art „Bilanzierungs-Vorschrift“ verwendet.

Eine zweite Gruppe von Naturwissenschaftlern hielt des Energie-Erhaltungs-Prinzip notwendigerweise für ein „Naturgesetz“. Diese Wissenschaftler-Gruppe wurde durch den „Großen Revolutionär RADIUM“ zu der Überzeugung gebracht, Masse und Energie seien äquivalent, mehr noch, Masse sei in Energie verwandelbar und umgekehrt. Geschichtlich gesehen ist das knapp zusammengefaßt wie folgt verlaufen:

In seiner Arbeit (EINSTEIN 1905): „Ist die Trägheit eines Körpers von seinem Energieinhalt abhängig?“ hat EINSTEIN am Schluß festgestellt (Zitat):
Gibt ein Körper die Energie L in Form von Strahlung ab, so verkleinert sich seine Masse um L/V². Hier ist es offensichtlich unwesentlich, daß die dem Körper entzogene Energie gerade in Energie der Strahlung übergeht, so daß wir zu der allgemeineren Folgerung geführt werden:
Die Masse eines Körpers ist ein Maß für dessen Energieinhalt; ändert sich die Energie um L , so ändert sich die Masse in demselben Sinne um L/9·10
20, wenn die Energie in Erg und die Masse in Grammen gemessen wird.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß bei Körpern, deren Energieinhalt in hohem Maße veränderlich ist (z. B. bei den Radiumsalzen), eine Prüfung der Theorie gelingen wird. Wenn die Theorie den Tatsachen entspricht, so überträgt die Strahlung Trägheit zwischen den emittierenden und absorbierenden Körpern.
(Ende des Zitats)

Anmerkung: In der späteren Literatur wird weitgehend für die Energie das Symbol E bzw. W (statt L) und für die Lichtgeschwindigkeit das Symbol c (statt V) verwendet.

Auf dieser Arbeit von EINSTEIN und auf Untersuchungen anderer Wissenschaftler baut nun LEWIS (1908) auf und kommt mit Bezug auf MAXWELL unter Anwendung der „Gesetze“ der Erhaltung der Energie, der Masse und des Impulses zu dem Ergebnis (aus dem Englischen übersetztes Zitat von Seite 707, Gleichungs-Nummerierung nach LEWIS):

dm = dE/V² ( 7 )

oder, wenn wir schreiben:

V = 3 · 1010 Zentimeter pro Sekunde,
dm = 1,111 · 10
-21 · dE .

(Ende des Zitats)

LEWIS sagt dazu weiter (Zitat von Seite 708, oben):
Wenn also ein Körper eine gegebene Quantität an Energie verliert, verliert er auch stets eine definierte Quantität an Masse. Wir können also annehmen, daß er, wenn er seine gesamte Energie verliert, auch seine gesamte Masse verliert, oder mit anderen Worten: Die Masse eines Körpers ist ein direktes Maß seiner gesamten Energie gemäß der Gleichung:

m = E/V² ( 8 )

(Ende des Zitats)

Diese Gleichung ist nun – entsprechend umgestellt und umbenannt – in die Lehrbücher und in die Physik-Geschichte eingegangen als die „berühmte EINSTEIN-sche Formel E = m · c² .“ Es handelt sich aber hierbei lediglich um eine Annahme, wie LEWIS im vorstehenden Zitat zutreffend aussagt und wie er auch an anderen Stellen seiner Arbeit von 1908 deutlich macht.

Die Zuordnung gemäß Glg. (8) ist in BILD 1 graphisch veranschaulicht.

BILD 1: Masse m als Funktion der Energie E nach Glg. (8) von LEWIS. Die Steigung dm/dE ist positiv!

Glg. (8) folgt aber nicht zwingend aus Glg. (7) und ist daher auch nicht allgemeingültig. Denn es ist für den Übergang von Glg. (7) auf (8) folgende Integration notwendig:

Hieraus ergibt sich bei Annahme einer absoluten Konstanz der Lichtgeschwindigkeit V:

Die sich ergebende Integrations-Konstante m0 ist die Masse beim Anfangszustand, also die Masse vor Beginn einer Energie-Abgabe.

Diese Zuordnung ist in BILD 2 dargestellt.

BILD 2: Masse m als Funktion der Energie E nach Glg. [5]. Die Steigung dm/dE ist positiv! ( m0 = Integrations-Konstante )

Aber auch Glg. [5] ist aus grundsätzlichen Überlegungen heraus unrichtig. Denn wie EINSTEIN zutreffend ausführt, verkleinert sich die Masse eines Körpers um einen bestimmten Betrag, wenn er Energie in Form von Strahlung abgibt (sog. „Massendefekt“). Diese Massen-Verkleinerung verlangt ein negatives Vorzeichen! Eine negative Energie-Änderung dE (vgl. Glg. (7) bei LEWIS) ist mit einer positiven Massen-Änderung dm zu verknüpfen und umgekehrt. Erst durch das negative Vorzeichen wird dem Energie-Erhaltungs-Prinzip genügt. Andernfalls würde implizite unterstellt, daß gleichzeitig die Masse und die Energie anwachsen würde.

Die Glg. [5] muß also richtig lauten:

Dies ist in BILD 3 gezeigt.

BILD 3: Masse m als Funktion der Energie E nach Glg. [6]. Die Steigung dm/dE ist negativ! ( m0 = Integrations-Konstante )

Es erhebt sich nun erneut die Frage, die sich schon LEWIS in seiner Arbeit von 1908 gestellt hat, ob die auf der Abszisse aufgetragene Energie solange anwachsen kann, bis die Masse zu 100 % „verbraucht“ ist. Diese Frage betrifft die Zulässigkeit einer Extrapolation und läßt sich mathematisch nicht entscheiden. Die Unzulässigkeit der Extrapolation im vorliegenden Falle kann durch folgende Analogie deutlich gemacht werden:

Füllt man in eine flache Schale eine bestimmte Wassermenge, gießt hierauf nur eine dünne Schicht Benzin und zündet das Benzin an, so läßt sich entsprechend Glg. (7) eine meßbare Massen-Änderung dm (Benzinmasse) einer proportionalen Energie-Änderung dE (Wärme-Energie) zuordnen. Wäre Glg. (8) zutreffend, so ließe sich die Gesamtmasse m (Benzin und Wasser) in eine proportionale Energiemenge E „umwandeln“. Denn dies folgt aus der als allgemeingültig angenommenen Glg. (8). In Wirklichkeit bleibt aber das Wasser unverbrannt und unverwandelt zurück.

Für die Atomphysik ergibt sich daraus – entgegen zahlreichen Lehrbuch-Behauptungen – die folgende Konsequenz:

Radioaktive Strahlung und nukleare Kernspaltungs-Energie können nur solange abgegeben werden, als der natürliche Energie-Vorrat des radioaktiven Stoffes reicht. Dieser Energie-Vorrat ist materialabhängig und daher nicht durch mathematische Formeln gegeben. Wie lange ein radioaktives Element radioaktiv sein wird, läßt sich bisher nicht theoretisch herleiten. Normalerweise zerfällt es solange, bis ein anderes chemisches Element entstanden ist (vgl. THEIMER 1977, S. 78 bis 104). Die Folgerung, daß eine „Verwandlung“ von Masse in Energie möglich sei, ist lediglich eine wissenschaftlich unbegründete Spekulation. HEISENBERG (1959) sagt dazu (Zitat von Seite 96):

Die Energie bei der Spaltung des Urankerns hat den gleichen Ursprung wie die beim alpha-Zerfall eines Radiumkerns, nämlich in der Hauptsache die elektrostatische Abstoßung der zwei Teile, in die der Atomkern gespalten wird. Die Energie, die bei einer Atomexplosion frei wird, stammt also direkt aus dieser Quelle und ist nicht durch eine Verwandlung von Masse in Energie hervorgebracht. (Ende des Zitats)

Schon früher hatte Dr. Arthur ZINZEN, Professor an der Technischen Hochschule in Charlottenburg und Direktor des deutschen Normenausschusses, Berlin, darauf hingewiesen, daß die Aussage einer „Verwandlung“ von Masse in Energie schon aus Dimensions-Betrachtungen heraus falsch ist. Er schreibt (ZINZEN 1957, Zitat von Seite 143):

Ebenso gefährlich ist es, wenn man heute von der Verwandlung von Masse in Energie oder umgekehrt spricht. Masse (nämlich die Trägheit) hat immer noch die Dimension [m] und die Energie die Dimension [m]·[l] 2· [t] -2, und man kann aus diesem Begriff die beiden Faktoren l 2 und t -2 nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Solche Aussagen sind falsch und führen dann zu unsinnigen Philosophemen, mit denen niemandem gedient ist. (Ende des Zitats)

Mitunter hört man auch die Behauptung, durch die „Wasserstoff-Bombe“ sei die grundsätzliche Möglichkeit der Energie-Gewinnung durch Kernfusion bestätigt und die „Äquivalenz“ von Masse und Energie besonders eindrucksvoll bewiesen. Auch diese Aussage bedarf einer Richtigstellung. Schon BRÖCKER (1976) hat ausgesagt (Zitat von Seite 231, letzter Absatz):

Sehr große Wasserstoffbomben haben außerhalb der Fusionsmaterie noch einen Mantel aus Uran 238, in dem die bei der Fusion erzeugten schnellen Neutronen durch Spaltung weitere Energie freisetzen. Jedes Neutron setzt dabei etwa 200 MeV frei gegenüber ca. 17 bei seiner Entstehung. Bei diesen Bomben entsteht also der größte Teil der Energie wieder durch Spaltung. (Ende des Zitats)

Von einem „Beweis“ der Äquivalenz von Masse und Energie kann also nicht die Rede sein! Siehe hierzu auch BENECKE (1980 und 1987).

Wie vorstehend aufgezeigt wurde, ist das Energie-Erhaltungs-Prinzip die Ursache zahlreicher Mißverständnisse. Eine grundsätzliche Klärung der Zusammenhänge ist nur aus erkenntniswissenschaftlicher Sicht möglich. Besonders anschaulich hat THÜRING (1967) dieses Problem behandelt, vgl. vor allem Seiten 240 bis 247. Ein eingehendes Studium dieser Literaturstelle wird empfohlen. Es wird dort aufgezeigt, – in Übereinstimmung mit den vorstehenden Ausführungen – daß das Energie-Erhaltungs-Prinzip weder ein „Naturgesetz“ noch ein „Erfahrungssatz“ sondern lediglich eine „Bilanzierungs-Vorschrift“ für Energie-Umwandlungs-Prozesse ist.

3. Literatur:

BENECKE, J. (1980): „12 Fragen zur Kernfusion – Kritische Zweifel an dem Super-Programm“, Zeitschr. „Bild der Wissenschaft“, 1980, H. 10, S. 68 – 87

BENECKE, J. (1987): „Kernfusion ist keine Alternative“, Zeitschr. „Bild der Wissenschaft“, 1987, H. 2, S. 128

BRAUNBEK, W. (1937): „Die empirische Genauigkeit des Masse-Energie-Verhältnisses“, Zeitschr. f. Physik, Bd. 107, S. 1 – 11

BROAD, W. / WADE, N. (1984): „Betrug und Täuschung in der Wissenschaft“, Verlag Birkhäuser, Basel, Boston, Stuttgart. Titel der Originalausgabe: „Betrayers of the Truth – Fraud and Deceit in the Halls of Science“. Verlag Simon and Schuster, New York, 1982

BRÖCKER, B. (1976/1980): „dtv-Atlas zur Atomphysik – Tafeln und Texte“, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, insb. Seite 231, Abschnitte: „Fusionsbomben“ und „Reaktionsablauf“

EINSTEIN, A. (1905): „Ist die Trägheit eines Körpers von seinem Energieinhalt abhängig?“, „Annalen der Physik“, Bd. 18, S. 639 – 641

FRIEBE, E. (1989): „Probleme bei der mathematischen Beschreibung von Bewegungsvorgängen“, Zeitschr. „raum & zeit“, 38/89, S. 88 – 90

HEISENBERG, W. (1959): „Physik und Philosophie“, Ullstein Buch Nr. 249. Ullstein-Verlag, Frankfurt/M.

JAMMER, M. (1964): „Der Begriff der Masse in der Physik“, Wissenschaftl. Buchgesellschaft, Darmstadt

KÖHLER, K. J. (1982): „Die Äquivalenz von Materie und Energie“, aus „Philosophia Naturalis“, Bd. 19, Heft 3/4, S. 315 – 341

LEWIS, G. N. (1908): „A Revision of the Fundamental Laws of Matter and Energy“, Phil. Mag., November 1908, S. 705 – 717

THEIMER, W. (1977): „Die Relativitätstheorie – Lehre, Wirkung, Kritik“, Verlag Francke, Bern und München

THÜRING, B. (1967): „Die Gravitation und die philosophischen Grundlagen der Physik“, Verlag Duncker & Humblot, Berlin

ZINZEN, A. (1957): „Grundgrößen-Arten und Kategorien“, enth. in: SAPPER, K. (1957) (Hrsg.): „Kritik und Fortbildung der Relativitätstheorie“, S. 135 – 143

Kommentare

Einen eigenen Kommentar schreiben

Hinterlassen Sie eine Antwort

Erlaubter XHTML-Code: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>