Whistleblowing in der Wissenschaft

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Whistleblowing in der Wissenschaft: Rechtliche Aspekte im Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten 

G. O. Mueller  hat mir hierzu einen Zeitungsartikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 25. Februar 2009 zugesandt, den ich nachstehend auszugsweise bringe: 

Zitat: 

Wer den Plagiator verpfeift, muß mit Undank rechnen 

Hinweise auf wissenschaftliches Fehlverhalten können zu erheblichen Repressalien gegenüber den Hinweisgebern führen. Welchen Schutz kann und will das deutsche Recht bieten? 

Was wissenschaftliches Fehlverhalten ist, muss von Disziplin zu Disziplin beantwortet werden. Zwischen Abschreiben, Datendiebstahl und vorgetäuschten Therapieerfolgen liegen viele Möglichkeiten. Es hat aber lange gedauert, bis sich die empirische Normalität des Verstoßes gegen die Normen der Forschung in der allgemeinen Wahrnehmung durchgesetzt hat; große Fälschungsskandale in den Naturwissenschaften waren die Vorreiter. 

Die Ausblendung wissenschaftlicher Normverstöße hat mit dem idealisierten Bild zu tun, das die Wissenschaft von sich selbst pflegt. Wenn nicht mit der Normali­tät von Missständen gerechnet wird, dann liegt es nahe, dass es für ihre Anzeige, Aufklärung und Abwicklung keine besonderen Verfahren gibt. Damit sinkt wiederum die Wahrscheinlichkeit der Anzeige. 

Ein Einzelner, der den Normbruch als normal behaupten wollte, hat es dann umso schwerer. Dass in schwerwiegender Weise gegen Standards verstoßen wurde, erfahren weder Kollegen noch Vorgesetzte gerne. Denn den Institutionen bereiten solche Meldungen über Fehlverhalten im eigenen Haus ein gewisses Ungemach, sie stehen zunächst selbst als mitverdächtig da und können sogar bei erfolgreicher Aufklärung nicht viel gewinnen. Im Fach vernimmt man die möglichen Reputationsverluste in der Öffentlichkeit mit noch größerer Sorge. Geldgeber werden verschreckt, die Presse verbeißt sich in den Skandal. 

Konsequent muss sich der Alarmschläger Rückfragen gefallen lassen. Warum tust du das? Was tust du uns da an? Man nennt ihn „Whistleblower“, aber sieht ihn eher als Denunzianten. Die Vermutung lautet: Der Nestbeschmutzer ist allgemein destruktiv gestimmt oder neidisch auf einen bestimmten Erfolg jener Kollegen, denen er unrechtes Hin unterstellt. Hat er überhaupt genug Beweise? Auch wenn sich seine Behauptungen als wahr erwei­sen, liegt ein Schatten auf seinem Vorstoß. Er wird es künftig schwer haben. Zwischen Mobbing und außerordentlicher Kündigung ist alles möglich. 

Es gibt juristisch mehrere mögliche Perspektiven: Man kann Whistleblowing als Herausforderung an das Arbeitsrecht sehen oder auch seine speziellen wissenschaftsrechtlichen Aspekte betonen. Wichtig scheint auch der Konflikt zwischen gelebter Normativität und gesetzlichen Vorgaben; immerhin gibt es ja die Meinungsäußerungsfreiheit im Grundgesetz ebenso wie ein wenig bekanntes Petitionsrecht aus Artikel 17, sich mit Bitten und Beschwerden an zuständige Stellen zu wenden. Im Idealfall der juristischen Analyse müsste man eine gewisse intime Kenntnis über Verstöße und ihre Handhabung einbringen und dabei die deutsche Situation mit der in anderen Ländern vergleichen. 

Die Hamburger Dissertation von Corinna Nadine Schulz ist dieser Idealfall, und wäre ohne die Assistentenzeit der Verfasserin beim Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht denkbar („Whistleblowing in der Wissenschaft“. Rechtliche Aspekte im Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten, Baden-Baden, 2008). Schulz geht vom allgemeinen Arbeitsrecht aus und behandelt dann das eigentliche Whistleblowing in der Wissenschaft. Dem Leser wird auf diese Weise klar, dass hier strukturelle Defizite vorliegen, die durch einige Besonderheiten des Wissenschaftssystems potenziert werden. Auch Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, und Peter Derleder (Universität Bremen) sehen in ihrem Beitrag das Whistleblowing als gesellschaftspolitisches Problem und sehen zivil-rechtlichen Reformbedarf {„Whistleblower und Denunziatoren“, Zeitschrift für Rechtspolitik, 41. Jg., 2008, Heft 8). 

Sie erinnern uns ebenso wie Schulz an vergangene Skandale wie etwa jenen um das Fleischhygieneamt auf dem Rinderschlachthof in Bad Bramstedt: Margrit Herbst, einer Tierärztin, die den Umgang mit BSE-Verdachtsfällen publik macht, wird fristlos gekündigt. Vorangegangen waren Meldungen über unerklärliche hochgradige Bewegungsstörungen, erhöhte Nervosität und Aggressivität der Tiere an ihre Vorgesetzten, die aber trotzdem das Fleisch für den Handel freigaben. Die Ärztin war zur Verschwiegenheit verpflichtet worden, ihr Tätigkeitsfeld wurde geändert, sie fügt sich jedoch trotz Abmahnung nicht, gibt Interviews, bis alles eskaliert. Die Kündigung sei rechtmäßig, sagt das Arbeitsgericht, sie hätte sich nicht hinreichend um eine innerdienstliche Aufklärung bemüht, und die möglichen Auswirkungen auf den Umsatz des Schlachthofs hätten ihr bekannt sein müssen. So wurde 1996 entschieden, pikanterweise auf dem Höhepunkt der BSE-Krise. 

Deiseroth und Derleder verweisen auf ein Merkmal der Informationsgesellschaft: Der Raum unbeachteter oder „unterschlagener Wirklichkeit“ (Oskar Negt) weite sich aus. Der ökonomische Druck auf alle Akteure führe zu gestiegenen innerbetrieblichen Leistungsnormen und Loyalitätserwartungen, die einstmals aktiven Gewerkschaften schwächelten statt gegenzusteuern, Privatisierungen erzeugten neue Intransparenzen. Übrig bleibe der Einzelne mit seiner unvergleichlichen, aus Innensicht gewonnenen Kenntnis von Missständen, der mit Hinweisen an die Presse die Gemeinwohlbelange wahrnehmen könnte. Lebensmittel-, Abrechnungs- und Pflegeskandale sind vielfach nur so an die Öffentlichkeit gelangt. 

Dieser Gemeinwohlbezug fehlt typischerweise in den Whistleblowing-Fällen der Wissenschaft, betont Schulz. Gemeinsam ist allen Konflikten, dass sie als arbeitsrechtliches Problem vor Gericht auftauchen, wo die Richter aber lange Zeit sehr zögerten, das Verpfeifen nicht als Vertragsbruch aufzufassen. Tatsächlich obliegen ja dem Arbeitnehmer (besonders Beamten) Verschwiegenheits-, Rücksichtnahme- und Treuepflichten, ja mancher weigert sich unter Verweis auf seine schweren ethischen oder rechtlichen Bedenken sogar, eine von ihm erwartete Arbeit zu tun. Das geht natürlich nicht, antwortet der Arbeitgeber entrüstet. 

Wer da recht hat, ist spezialgesetzlich nicht geregelt; eine zusätzliche arbeitsrechtliche Vorschrift im BGB war bis vor kurzem in der Diskussion. Der neue § 612a sollte ein ausdrückliches Recht von Beschäftigten festhalten, Rechtsverstöße des Unternehmens gegenüber Behörden anzuzeigen. Ob er noch kommt, scheint mehr als fragwürdig; Der Entwurf wurde auf Eis gelegt und gilt als gescheitert, weil er manchen inhaltlich zu weit ging. 

Konsequent haben einige Akteure ihre eigenen Normen geschaffen. Aufgeschreckt durch Skandale, die in den Medien landeten, haben Förderorganisationen und Universitäten eigene Verfahrensordnungen zum Umgang mit wissenschaftlichen Fehlverhalten erlassen. Die verschiedenen Interessen werden dort berücksichtigt, und natürlich muss auch dem Verdächtigen ein Recht auf Gehör eingeräumt werden; eine bloße Anzeige darf keine Vorverurteilung nach sich ziehen. Es liegt auf der Hand, dass diese Verfahrensordnungen im Detail erheblich voneinander abweichen und allgemein geltende Standards ein Desiderat bleiben. 

Bei alledem besteht die Gefahr, dass es dem Whistleblower hier ähnlich ergeht wie dem Opferzeugen im Strafverfahren: Er ist ein willkommenes Beweismittel, wo es um die Aufklärung der Vorwürfe geht, aber die Berücksichtigung seiner spezifischen Belange im Verfahren ist nicht durchweg gewährleistet. Keine andere deutsche Schutzregelung geht so weit wie die der Universität Stuttgart, welche in der Verfahrensordnung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis vorbildlich erklärt, dass „der wissenschaftliche und berufliche Werdegang“ von informierenden Personen „durch das Verfahren nicht beeinträchtigt werden (darf)“: „Die Universität übernimmt hierfür die Verantwortung.“ Wo dies nicht geschieht, bleibt bedenklich viel Raum für die soziale Logik der Wissenschaft. Schulz sieht es realistisch: Selbst wenn sich der Betrugsverdacht bestätigt, muss der Whistleblower empirisch fürchten, schärfer sanktioniert zu werden als derjenige, den er angezeigt hat. Einige Forscher sind ausgewandert, andere konnten nicht mehr habilitieren  –  eine Katastrophe in einem Berufsfeld mit oft scharf definierten Außengrenzen. Der eigentliche Normbruch wird bei dem lokalisiert, der Verstöße anzeigt. 

Deiseroth und Derleder verweisen hier überzeugend auf „die Beharrungskraft wirtschaftlicher und sozialer Einheiten, mit der auch eingeschliffene Missstände verdeckt und aufrechterhalten werden“. Whistleblowing ist ein Frühwarnsystem, das die „mitdenkende Loyalität von Beschäftigten verstärken“ kann. Auch auf die Wissenschaft bezogen, muss man die Kosten und Konsequenzen erwägen, die bei einer erst späteren Aufdeckung des Fehlverhaltens blühten. So gesehen wäre Whistleblowing Teil einer internen Qualitätssicherung und sollte dem Arbeitgeber hochwillkommen sein. Ob er den Informanten aber gegen informelle Sanktionen schützen kann, steht bei einem System, in| dem Netzfreundschaften alles sind, dahin. 

Schulz endet pragmatischer und fordert wie Deiseroth und Derleder Rechtsänderungen. Wo die beiden dem Gesetzgeber zuraten, rasch zu handeln, entfaltet sie ein beeindruckend differenziertes Panorama von ergänzenden und vertiefenden Vorschlägen. Wichtiger als zersplitterte Regelwerke mit zahllosen Schutzvorkehrungen sei die staatliche Schaffung von Anreizstrukturen für Arbeitgeber, damit diese organisationsinterne Verbesserungen vornehmen. Anders als bei den gerne parallelisierten Korruptionsfällen helfen in der Wissenschaft aber Kronzeugenregelungen und Maßnahmen zum Zeugenschutz kaum weiter. Immerhin kann man von ihnen lernen, dass die Motive des Anzeigenden sekundär bleiben dürfen. Institutionen brauchen eigene Whistleblower-Regelungen, und die Forschungsförderung könnte davon abhängig gemacht werden, dass es sie gibt. Großbritannien und die Vereinigten Staaten haben es vorgemacht. 

Denn „Whistleblowing“ ist ein Fremdwort, dessen Erscheinen hierzulande neben einer Aufmerksamkeitsverschiebung auch einen internationalen Wissenstransfer im Recht signalisiert. Als Verhaltensvariante wurde es zuerst 1963 in Amerika so bezeichnet, und von dort sowie aus Großbritannien kommen nun auch die juristischen Lösungsvorschläge und im Unternehmensrecht auch manche konfliktträchtige Vorgabe. Man könnte die Vorreiterrolle beider Länder mit der Struktur der dortigen Forschungsförderung erklären: Wo die externen Geldgeber mächtiger und empfindlicher sind, scheint das Wissenschaftsrecht eilfertig, deren rechtsethische Vorstellungen umzusetzen. Mancher mutige Verpetzer genießt dort ein Ansehen, von dem Whistleblower in Deutschland, vorsichtig formuliert, weit entfernt sind. 
MILOS VEC 

(Zitatende, Hervorhebungen durch Fettdruck von Friebe)

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