Albert Einstein behauptet beim Wiederabdruck (1913) seiner ersten Arbeit von 1905, die Arbeit von Lorentz 1904 nicht gekannt zu haben

Ich bringe nun Fehler Nr. 9  aus dem Abschnitt Darstellungen zur Relativitätstheorie aus Kapitel 2, Fehler-Katalog  der Dokumentation der Forschungsgruppe G. O. Mueller.

Zitat:

S: Darstellungen / Fehler Nr. 9
Albert Einstein behauptet beim Wiederabdruck (1913) seiner ersten Arbeit von 1905, die Arbeit von Lorentz 1904 nicht gekannt zu haben

Die Behauptung Albert Einsteins, die 1904 veröffentlichte Arbeit von Lorentz bei der Abfassung seiner ersten Arbeit zur SRT 1905 nicht gekannt zu haben, findet sich in einer Fußnote zum Wiederabdruck seiner Arbeit in dem Sammelband: Das Relativitätsprinzip. Lorentz, Einstein, Minkowski. 1. Aufl. 1913, S. 27; 5. Aufl. 1923, S. 26.

Anlaß für diese Behauptung waren mehrere Umstände:

(1) die Tatsache, daß Lorentz bereits 1904 die Transformationsgleichungen veröffentlicht hat, die später auch in der SRT verwendet werden;
(2) die Tatsache, daß Albert Einstein in seiner Arbeit von 1905 keine einzige Literaturangabe macht, also den Eindruck erweckt, er habe alles in seiner Theorie selbst entwickelt;
(3) durch den späteren Wiederabdruck beider Arbeiten nacheinander in dem Sammelband „Das Relativitätsprinzip“ wurde die weitgehende Übereinstimmung der Transformationsgleichungen offensichtlich; Lorentz hatte in einer Fußnote (datiert 1912) zum Wiederabdruck (1913: S. 10) angemerkt, daß er „in dieser Abhandlung die Transformationsgleichungen der Einsteinschen Relativitätstheorie nicht ganz erreicht“ hat; außerdem weist Lorentz in derselben Fußnote darauf hin, daß Voigt bereits 1887 eine Transformation angewandt hat, die seiner, Lorentz‘ eigener, „äquivalent“ ist. Lorentz stellt also in aller Kürze die Genealogie der Transformationsgleichungen auf: Voigt 1887 – Lorentz 1904 – Einstein 1905.

Gegen diese Abhängigkeit wehrt sich Albert Einstein 1913 durch die Fußnote. Er hätte diese Fußnote 1913 nicht nötig gehabt, wenn er in seiner ersten Arbeit 1905 den international üblichen Standard an intellektueller Redlichkeit gewahrt und seine Quellen und den vorgefundenen Kenntnisstand korrekt referiert hätte: wenn in seiner damaligen – nicht gelieferten – „Literaturliste“ die Arbeit von Lorentz 1904 nicht aufgeführt worden wäre, so hätte das seine Unkenntnis dieser Arbeit zwar nicht bewiesen, aber immerhin nahe liegend erscheinen lassen. Wer gar keine Quellen angibt, kann später zwar alles behaupten, aber man glaubt ihm nicht so leicht, weil das Mißtrauen geweckt ist.

Nachdem nun Lorentz im Wiederabdruck 1913 den Nachweis der Entwicklung des Kenntnisstands geleistet hatte, den Albert Einstein 1905 verweigert hatte, konnte von einer Priorität Albert Einsteins für die Transformationsgleichungen nicht mehr die Rede sein. Um aber wenigstens eine Selbständigkeit seiner Ableitungen in zeitlicher Parallelität zu Lorentz zu behaupten, erklärte Albert Einstein 1913 in der Fußnote, die Arbeit von Lorentz 1904 nicht gekannt zu haben.

Diese Schutzbehauptung Albert Einsteins ist durch seine Anhänger stets als völlig unzweifelhaft hingestellt worden, obwohl von den späteren Relativisten niemand 1905 dabei gewesen ist und beurteilen konnte, was Albert Einstein bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekannt hat. Die Relativisten wie A. Pais 1996 (S. 121) halten die Nicht-Kenntnis für erwiesen: „It follows … that in 1905 Einstein did not know of Lorentz transformations.“ Er betont es in seiner Zusammenfassung (S. 133): „He did not know the Lorentz transformations.“

Die Kritiker bezweifeln Schutzbehauptungen prinzipiell. Wer seine Karten nicht offen legen will, hat wahrscheinlich etwas zu verbergen. L. Galgani 1996 hat die Frage der Kenntnis der Lorentz’schen Arbeit von 1904 analysiert und folgendes herausgefunden (S. 176): der berühmte Relativitätsfaktor [1 / Wurzel aus 1 – v²/c²] wurde um 1905 von zwei Autoren behandelt, nämlich von Poincaré und von Lorentz; Poincaré bezeichnete den Relativitätsfaktor mit dem Buchstaben „k“, Lorentz bezeichnet ihn 1904 mit dem griechischen [Beta]; und AE 1905 bezeichnet den Faktor ebenfalls mit [Beta]. Damit ist die Nicht-Kenntnis der Lorentz’schen Arbeit von 1904 zumindest ziemlich unwahrscheinlich. Alle gegenteiligen Beteuerungen helfen wenig.

Galgani 1996 behandelt noch einen anderen wichtigen Aspekt der Literaturkenntnis Albert Einsteins, nämlich seine Kenntnis der Arbeiten von Poincaré, wobei auch Poincarés Verhältnis zur SRT zur Sprache kommt.

Wie schon bei anderer Gelegenheit betont, geht es hier nicht um persönliche Eitelkeiten, die für die Physik irrelevant sind, sondern um die sachlichen Abhängigkeiten und daraus resultierende Ansprüche einer Theorie. Die von Lorentz in seiner Fußnote 1912 klargestellte Genealogie der Transformationsformeln zeigt ihre Unabhängigkeit von der SRT.

Auch in dieser Frage zeigt sich die Vorliebe der Relativisten für riskante Nicht-Existenz-Behauptungen, die sie um so sicherer proklamieren, je weniger sachliche Gründe sie dafür vorbringen können. Kühnheit ist ihr Wappenspruch, und die Kühnheit rühmen seit Planck und M. v. Laue und Born schon mehrere Relativistengenerationen.
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Lorentz, Hendrik Antoon: Electromagnetic phenomena in a system moving with any velocity smaller than that of light. In: Koninklijke Akademie van Wetenschappen, Amsterdam. Proceedings. 6. 1904, S. 809 – 831. Dt. Übersetzung abgedruckt in: Das Relativitätsprinzip. H. A. Lorentz, A. Einstein, H. Minkowski. 1913; 5. Aufl. 1923, S. 6 – 25. – AE 1905. – Pais, Abraham: „Subtle is the Lord …“: the science and the life of Albert Einstein. 11. impr. Oxford (usw.): Oxford Univ. Pr., 1996. 552 S. – Galgani, Luigi: Einstein e Poincaré. In: Fondamenti e filosofia della fisica. Atti del Convegno, 1994. Cesena 1996, S. 163 – 178.

(Zitatende)

Den Originaltext zu diesem Zitat finden Sie hier (Seiten 169 bis 170).

Beste Grüße Ekkehard Friebe

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