Zur Elektrodynamik bewegter Körper 1968

Von Joachim Meyer

Beitrag aus dem GOM-Projekt: 2394 weitere kritische Veröffentlichungen
zur Ergänzung der Dokumentation Textversion 1.2 – 2004, Kapitel 4. 

Zur Elektrodynamik bewegter Körper: [Abgeschlossen Mai 1966] / J. Meyer (Joachim Meyer, Dr. rer. nat, wiss. Assistent am Geophysikalischen Inst. d. Univ. Göttingen). – Göttingen: [Selbstverlag] 1968. 29 S.
Auch unter: www.ekkehard-friebe.de/Meyer-1968.pdf
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Inhalt
§ 1. Einleitung
§ 2. Die Rolle des Äthers in der modernen Physik
§ 3. Das Prinzip der Äquivalenz von Masse und Energie und seine Folgerungen
§ 4. Einige spezielle Effekte im Lichte der allgemeinen Dynamik
§ 5. Weiterer Ausbau der Theorie
§ 6. Schlußbemerkungen

§ 1. Einleitung

Mit dem Schlagwort “Relativität” verbinden sich in der Physik zwei verschiedene Vorstellungen, die in der Vergangenheit oftmals zu Mißverständnissen und Irrtümern Anlaß gegeben haben. Es sind dies die Begriffe der “Körperrelativität”, wie sie im MACHschen Prinzip ihren Ausdruck findet, und der “Standpunkts-” oder “Systemrelativität”, deren Bedeutung schon von LEIBNIZ voll erkannt worden ist und die erneut hervortritt in den EINSTEINschen Relativitätsprinzipien. Daß die uneingeschränkte Anwendung der Systemrelativität bei physikalischen und astronomischen Problemen häufig auf Schwierigkeiten stößt, die da­zu zwingen, doch wieder einem bestimmten Bezugssystem den Vorzug zu geben, ist bekannt. Nicht nur daß sich in einem System die Darstellung der Vorgänge manchmal besonders ein­fach gestaltet; die Beschreibung in einem ganz bestimmten Koordinatensystem bietet oftmals die einzige Möglichkeit, die Vorgänge selber dynamisch, d.h. physikalisch, zu verstehen.

So ist z.B. das Kopernikanische heliozentrische Weltbild, rein kinematisch betrachtet, vollkommen gleichwertig dem früheren geozentrischen Weltbild des PTOLEMÄUS. Aber erst der Übergang zu einem fest mit dem Fixsternhimmel verbundenen heliozentrischen Bezugssystem eröffnete den verfeinerten Ausbau der Planetengesetze und deren mechanisch« Verständnis, wies erst den Weg zu einer allgemeinen Himmelsmechanik.

In der modernen Physik ist die Standpunkts- oder Systemrelativität mit der Postulierung der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Inertial- bzw. Gaußschen Koordinatensysteme in der speziellen bzw. allgemeinen Relativitätstheorie bis zur letztmöglichen Kon­sequenz durchgeführt worden. Sie führt sowohl innerhalb der Elektrodynamik als auch innerhalb der relativistischen Mechanik jeweils zu einem widerspruchsfreien Gedankenge­bäude, dessen formaler Bau vor allem die Mathematiker seit seiner Entstehung fasziniert hat. Dennoch sind unter Physikern immer wieder Stimmen laut geworden, die Zweifel äußern, dass es “wirklich so ist”. Denn neben der äußerst stimulierenden Wirkung, die die relativistische Beschreibungsweise auf Experimentatoren ausgeübt hat, hat sie weder zu einem tieferen Verständnis der physikalischen Vorgänge – eher einem Verzicht auf Ver­ständnis – geführt, noch zu einer Vereinheitlichung des physikalischen Weltbildes beige­tragen. Darüber hinaus sind mit der Entwicklung der Quantenmechanik gerade auch der relativistischen Vorstellungswelt neue Schwierigkeiten erwachsen. Die moderne theoreti­sche Physik ist weit davon entfernt, eine umfassende Theorie aller bekannt gewordenen Er­scheinungen bieten zu können.

Auf die erkenntnistheoretischen Probleme, die durch die relativistische Auffassung von Raum und Zeit entstanden sind und die auch heute noch nicht befriedigend geklärt sind, soll hier nicht eingegangen werden. Auch die physikalischen Einwände richteten sich lange Zeit vornehmlich gegen die EINSTEINsche Interpretation der Lorentz-Transfor­mationen und deren innere Konsistenz, weniger gegen die Realität dieser Transformatio­nen selbst. Auf die Notwendigkeit des “Äthers” zu ihrem physikalischen Verständnis hat in einer Reihe von Schriften bereits E. WIECHERT hingewiesen (vgl. § 2) und zugleich auch auf die beschränkte Gültigkeit der EINSTEINschen Relativitätsprinzipien aufmerksam ge­macht [1]. Gerade in jüngster Zeit sind aber sowohl um Grundkonzeption als auch um Folgerungen der Physik der Lorentz-Transformationen wieder in zunehmendem Maße Diskus­sionen entbrannt, die die Fragwürdigkeit der speziellen Relativitätstheorie erneut haben hervortreten lassen (z.B. [3] – [14]). Daneben werden aber auch die bekannten Teste der allgemeinen Relativitätstheorie schon längst nicht mehr von allen Physikern als hinrei­chend beweiskräftig angesehen (s. [15, 16]). An Ansätzen zu Verbesserungen fehlt es nicht. Sie alle haben jedoch bisher nicht zu einer Änderung in der gegenwärtig vorherr­schenden Meinung geführt.

Umso notwendiger lassen es die erhobenen Bedenken erscheinen, den gesamten Erscheinungenkomplex, deren Deutung man mit dem Begriff “Relativitätstheorie” zusammen­zufassen pflegt, ohne Voreingenommenheit einer kritischen Prüfung zu unterziehen und zu versuchen, etwaige noch unerkannte physikalische Zusammenhänge in den beobachteten Effekten aufzudecken. Dabei wird sich herausstellen, daß die formalistische Erklärung durch die Relativitätstheorie als unhaltbar aufgegeben werden muß, und zwar weniger aufgrund formaler Widersprüche im inneren Aufbau dieser Theorie als vielmehr wegen der Un­vereinbarkeit der physikalischen Erfahrung mit den Grundprinzipien, auf denen sie ruht.

Die von A. EINSTEIN [17] (Anmerkung 1) als „Elektrodynamik bewegter Körper” entwickelte Relativitätstheorie stützt sich u. a. auf die Kinematik des starren Körpers. Die eigentlichen Schwierigkeiten im Verständnis werden auf Fragen der Geometrie zurückgeführt, die eben den Ausgangsprinzipien angepaßt wird, so daß sich ein in weitem Rahmen widerspruchsfreies Bild ergibt. Das gilt sowohl für die spezielle als auch für die allgemeine Re­lativitätstheorie. Von einer physikalischen Theorie hingegen, die Anspruch erhebt, der Wirklichkeit zu entsprechen, sollte man erwarten, daß sie nicht allein bezweckt, die physikalischen Erscheinungen unter Zuhilfenahme zusätzlicher, hypothetischer Prinzipien geometrisch zu “erklären”, sondern vor allem, daß sie gestattet, die physikali­schen Zusammenhänge in den Erscheinungen dynamisch zu verstehen. Eine Elektrodynamik bewegter Körper, die dieser Forderung genügt, muß sich in erster Linie stützen auf die Dynamik des starren Körpers. Sie kann das mittels des Satzes von der Äquivalenz von Masse und Energie, der von Seiten der Theorie zwar auch zunächst als ein neues Prinzip betrachtet werden kann, dessen experimentelle Bestätigung im wesentlichen aber außer Frage steht. Gerade diese Äquivalenz von Masse und Energie stellt aber auch die Verbindung her zwischen den Gebieten der Mechanik und der Elektrodynamik (einschließlich der Optik), die die Voraussetzung ist für eine Verschmelzung beider. Sie er­möglicht und fordert die uneingeschränkte Anwendung der mechanischen Gesetze auf elektrodynamische Probleme. Die Nichtbeachtung dieses Umstandes ist die eigentliche Ur­sache der Schwierigkeiten, mit denen die Elektrodynamik bewegter Körper auch heute noch zu kämpfen hat. Eine volle Berücksichtigung der dynamischen Bewegungsgesetze für die elektromagnetische Wellenausbreitung bei bewegtem Sender oder Empfänger, eben aufgrund der Äquivalenz von Masse und Energie, weist andererseits den Weg zu einer allgemeinen Dynamik im Sinne PLANCKs.

In den nachfolgenden Ausführungen wird zunächst die Beziehung des “Äthers” zur Relativitätstheorie noch einmal kurz erläutert, unter Hinzunahme eines neuen Gesichtspunktes (§ 2). Sodann werden, als ein erster Ausblick auf die allgemeine Dynamik, die Be­wegungsgesetze der “Lichtkugel” abgeleitet und die älteren Einwände gegen eine systemabhängige Lichtgeschwindigkeit diskutiert (§ 3). Die wichtigsten Versuchsergebnisse, betreffend relativistische Effekte, werden im Lichte der neuen Theorie interpretiert {§ 4) und deren weiterer Ausbau umrissen (§ 5). Abschließend werden einige zusätzliche Prüfmög­lichkeiten aufgezeigt, experimental-physikalischer sowie astronomischer Art (§ 6). Eine analytische Grundlegung der allgemeinen Dynamik ist in Vorbereitung.

§2. Die Rolle des Äthers in der modernen Physik Die prinzipielle Annahme eines Äthers (wie in der ursprünglichen LORENTZschen Theorie) erfordert notwendig die Gültigkeit der Lorentz-Transformationen, um den negativen Ausfall des Michelson-Versuchs erklären zu können. Daraus folgt, daß es nicht an­geht, aus der Gültigkeit der Transformationsformeln in irgendeiner Interpretation auf die Nichtexistenz des Äthers zu schließen. Dieser Schluß wäre nur dann zwingend, wenn die Lorentz-Transformationen physikalisch gar nicht richtig wären.

Andererseits zwingt bei Leugnung der Existenz eines Äthers nichts dazu, die Lo­rentz-Transformationen physikalisch als real anzusehen. Wenn es keinen Sinn hat, von der Bewegung der Lichtquelle oder des Empfängers gegenüber einem allgemeinen Weltuntergrund zu sprechen, dann ist jegliche Transformationsformel überflüssig und unbrauchbar. Die Gültigkeit der Lorentz-Transformationen ist dann und nur dann notwendig, wenn es einen Sinn hat, von einem Äther als allgemeinem Weltuntergrund zu sprechen.

Während in der LORENTZschen Theorie die Äthervorstellung eine wesentliche Rol­le spielte, wurde in der EINSTEINschen Relativitätstheorie, die mit ihr formal identisch ist, die Existenz eines jeden Äthers zunächst streng geleugnet. Jedoch hat bereits E. WIECHERT ([21] – [24], [1], vgl. auch [ 25] ) gezeigt, „daß gerade die Relativitätsgesetze, welche so oft gegen die Ätherhypothese ins Feld geführt werden, bei voller Ausmessung ih­rer Tragweite dazu zwingen, die Existenz des Äthers anzuerkennen”. WIECHERT ließ sich in seinen Betrachtungen vor allem von physikalischen Gesichtspunkten leiten (Anmerkung 2): „Die EINSTEINsche Relativitätstheorie verlangt zur Erklärung der Bestimmtheit der von ihr ange­nommenen ‘Raum-Struktur’ die Annahme des Äthers” [24]. Zum gleichen Schluß gelang­te mehr als ein halbes Jahrhundert später E. G. CULLWICK [27], der ebenfalls die physika­lische Ursache der relativistischen Effekte im Äther sieht. Jede physikalische Argumentie­rung führt notwendig zu der Feststellung: Die Relativitätstheorie ist eine Äthertheorie. Unmittelbar evident wird dies, wenn man auf die ursprüngliche Funktion des Äthers zurückgeht, aufgrund deren scheinbarer Notwendigkeit er überhaupt in die Physik eingeführt wurde. Unter dem Begriff “Äther” wurde in der mechanistischen Auffassung des 19. Jahrhunderts, als direktes Pendant zur Luft bei der Schallausbreitung, das zur Lichtausbreitung als Form einer Wellenausbreitung für erforderlich gehaltene “ausbreitende Medium” verstanden, ohne Kenntnis seiner weiteren Eigenschaften und ohne experimentellen Nach­weis. Dem Äther allein wurde (und wird in abgeänderter Form implizit auch heute noch) eine die Lichtausbreitung bestimmende und ihr maßgebende Funktion zugeschrieben. We­sentliches und eindeutiges Kriterium für eine solche Äthervorstellung ist, wie bei der Schallausbreitung, die Unabhängigkeit der Lichtausbreitung von der Bewegung der Quelle. Von einem Äther in eben seiner ursprünglichen Bedeutung kann dann und nur dann gespro­chen werden, wenn eine Bewegung der Lichtquelle (außer einer Änderung der Wellenlän­ge) ohne Einfluß ist auf die Lichtausbreitung selbst, insbesondere auf die zu messende Lichtgeschwindigkeit. Damit erscheint die am Schluß des vorhergehenden Absatzes ge­troffene Feststellung trivial. Die einerseits übliche Folgerung, aus dem negativen Ausfall aller Versuche, den Äther experimentell nachzuweisen, auf Nichtexistenz des Äthers zu schließen, und die andererseits ebenso übliche Forderung, den Interpretationen der Relativitätstheorie physikalische Realität beizumessen, sind miteinander unverträglich.

Nun ist es durchaus falsch, daraus einen inneren Widerspruch der Relativitäts­theorie konzipieren zu wollen. Die prinzipielle Nichtnachweisbarkeit des Äthers ist vielmehr gerade einer ihrer wesentlichen Bestandteile. Sie war sogar das eigentliche Leitmotiv bei der Aufstellung der Lorentz-Transformationen. Falsch ist lediglich, aus der Nichtnachweisbarkeit des Äthers auf dessen Nichtexistenz zu schließen. Die Relativitätstheorie erscheint damit, historisch gesehen, als ein Versuch, die durch das Michelson-Experiment ins Wanken geratene Äthervorstellung zu retten und mit dem Ergeb­nis dieses Experiments in Einklang zu bringen. Ob das daraus resultierende Weltbild der Wirklichkeit entspricht, ist eine andere Frage.

Vom Standpunkt der klassischen Physik aus kann eine Entscheidung darüber, ob letztlich die (relativistische) Äthertheorie oder eine neu zu entwickelnde Nicht-Äther-Theorie der realen Welt am nächsten kommt, theoretisch nicht erfolgen. Sie wird erst ermöglicht durch ein darüber hinausgehendes neues Prinzip.

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Anmerkung 1: vgl. auch die zusammenfassenden Werke von BORN [18] und LAUE [19] sowie den Encyklopädie-Artikel von PAULI [20].
Anmerkung 2: unter Hinweis auf eine Bemerkung des Mathematikers B. RIEMANN [26] über die Frage nach dem „inneren Grunde der Maßverhältnisse des Raumes”: „Es führt dies hinüber in das Gebiet einer anderen Wissenschaft, in das Gebiet der Physik, ….”.

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