Walter Theimer: Die Diskussion um die Relativitätstheorie

Nachstehend bringe ich Auszüge aus dem Buch:

Buchtitel: Die Relativitätstheorie

Walter Theimer:
„Die Relativitätstheorie  –  Lehre, Wirkung, Kritik“
(1977)

Zitat von den Seiten 183 bis 187:

25. Die Diskussion um die Relativitätstheorie

Die Relativitätstheorie zeigt unverkennbar ideologische Züge. Sie steht in Zusammenhang mit der allgemeinen ideologischen Situation ihrer Zeit und läßt Parallelen mit zeitgenössischen Ideologien auf anderen Gebieten erkennen. Zu den ihr strukturell verwandten Ideologien gehören, so selt­sam es manchen anmuten mag, der Marxismus, die Psychoanalyse, die Lehre Spenglers und die Rassenideologie. Die Relativitätstheorie ist nicht politisch wie der Marxismus, die Theorie Spenglers oder der Rassismus. Sie hat keine Beziehung zur Anthropologie wie der Freudismus. Im Ge­gensatz zu diesen Ideologien ist sie nicht wertbezogen. Mit dem so genannten Relativismus, der eine allgemeine Wertskepsis lehrt, hat sie nichts zu tun.  

Ideologie und Wissenschaft 

Mit jenen Ideologien hat sie dennoch einige Züge gemein­sam. Ein vorge­gebenes weltanschauliches Bild, das an sich nicht rational begründbar ist, wird in das Gewand der Wissenschaft gekleidet, wobei an echte wissen­schaftliche Ansätze angeknüpft wird. Ein moderner Mythos kann nur in diesem Gewand auftreten. Bei Marx ist der mythische Zentralbegriff die «Dialektik», bei Freud das «Unbewußte», bei den Rassentheoretikern das «Blut», bei Spengler der biologische Rhythmus der Völker und Kulturen. Der Zentralbegriff der Relativitätstheorie ist die mathematische Harmo­nie der Welt, die in diesem Zeitalter unmittelbar keine Anziehung auf weitere Kreise ausübt. Die Anziehung geht von den magisch-mystischen Folgerungen aus, die Einstein und seine Anhänger aus diesem Begriff ab­leiten.    

Alle Ideologien behaupten, im Besitz einer höheren Erkenntnismethode zu sein. Die genannten Ideologien traten ungefähr gleichzeitig mit der Relativitätstheorie auf; nur der Marxismus war älter, wandelte sich aber um diese Zeit aus einer vernüchterten früheren Form wieder in die mythische Gestalt seiner Anfänge. Das geistige Klima der Zeit war irra­tionalen Lehren günstig. Man war des naturwissenschaftlich-materiali­stischen Weltbilds müde, welches das 19. Jahrhundert beherrscht hatte.. [Fußnote: Dieses Weltbild dehnte die naturwissenschaftliche Betrachtungsweise mit den zu ihr gehörenden rationalen Gesetzen und Prognosemöglichkeiten auch auf den Menschen, die Gesellschaft und die Geschichte aus. Daß es hier nicht genügte, sagt nichts gegen seine Gültigkeit auf dem Gebiet der Naturwissenschaft aus.] 

Lebensphilosophie und romantisierende Literatur nagten an ihm, Bergson lehrte élan vital und Intuition, der Positivismus verlangte im Namen der Rationalität das Relativitätsprinzip, das der Rationalität ein Ende machen mußte. Der in der Geistesgeschichte regelmäßig wiederkehrende «Aufstand gegen die Vernunft» war in vollem Gange. 

Die seelische Erschütterung des Ersten Weltkriegs gab irrationalen Strömungen weiteren Auftrieb, zahllos waren die kleineren ideologischen Sekten, die um diese Zeit auftraten. Wenn nun plötzlich gemeldet wurde, eine irrationale Lehre sei experimentell bestätigt worden, wenn berühmte Professoren der exaktesten Wissenschaft sich hinter sie stellten, dann wa­ren die Schleusen geöffnet. 

Ähnlich wirkte kurz darauf die Philosophie Heisenbergs, der aus der Quantentheorie die Unmöglichkeit einer ob­jektiven Realität und einen allgemeinen Indeterminismus folgerte, woran sich eine neue Quantenmystik knüpfte. Der «Umsturz im Weltbild der Physik», richtiger einiger Physiker, wurde große Mode. Nur widerspra­chen einander die beiden «Umstürze»; welcher war richtig? Die Quanten­mystik hatte mit der Relativitätsmystik einen Zug gemeinsam: in beiden Fällen verstand kein Nichtfachmann die wissenschaftlichen Grundlagen, aber der irrationale Kitzel wirkte. 

Die unerwünschte Kritik Die emotionale Art, in der die Relativitätstheorie seit ihrem Entstehen vertreten wird, verrät sofort ihren Ideologie­charakter. Die Diskussion um wirklich wissenschaftliche Meinungen pflegt anders zu verlaufen. Hinge­gen zeigt beispielsweise die Diskussion um den Marxismus dieselbe Struktur [ Fußnote: Vgl. W. Theimer: Der Marxismus. 7. Aufl. UTB Nr. 258. Bern und München 1976. ]. Wer anderer Meinung ist, befindet sich nicht nur im Irrtum; er ist ungläubig, sündhaft, verworfen. Den Vertreter einer Ideologie erkennt man am Schimpfen. Der Nichtrelativist ist für den Relativisten «in veralteten Denkgewohnheiten befangen», also ein Ungläubiger. [ Fußnote: Topitsch (1969) hat dieses Verhalten bei Vertretern anderer Ideologien beob­achtet. Er nennt es eine «Immunisierungs­strategie», weil es den Ideologen gegen Kritik immunisiert. ]   

Der Neo-Lorentzianer Arzeliès, selbst ein Abtrünniger, der sich aber als Ver­treter der wahren Lehre fühlt, erklärt rund heraus, daß jeder, der nicht an die Relativitätstheorie glaubt, einer psychiatrischen Untersuchung zu­geführt werden müsse. Ein weiteres strukturelles Kennzeichen, das die Relativitätstheorie mit den erwähnten Ideologien gemeinsam hat, ist die Tendenz zur Aufspaltung in rivalisierende Schulen. Es gibt sogar eine fünfdimensionale Relativitätstheorie.  

Seit dem Aufkommen der Relativitätstheorie klagen ihre Kritiker über mangelnde Publizität für ihre Meinungen. Die Verbannung der Diskus­sion ist ebenfalls typisch für Ideologien und Religionsgesellschaften. Von Anfang an verschlossen sich Zeitungen, Zeitschriften und Verlage der Kritik an der Relativitätstheorie. Der deutsche Naturforscherkongreß, der Minkowski Beifall gezollt hatte, lehnte einen kritischen Vortrag über die Relativitätstheorie ab. Die Relativitätstheorie ergriff breite Kreise, die nichts von ihr verstanden, sich aber an ihren irrationalen Folgerungen be­rauschten. Das wirkte wieder auf die Gelehrten zurück, die ihr zuerst ver­fallen waren. «Der Einsteinismus ergießt sich wie eine Sintflut über die Welt», klagte ein zeitgenössischer Kritiker (Reuterdahl 1931). Auch die­ser massenpsychologische Vorgang zeigte, daß es sich um einen ideologi­schen Effekt handelte und nicht um Wissenschaft. Die mathematische Physik ist wirklich kein Artikel für den Massenkonsum. 

Immerhin erschienen in deutscher Sprache zwischen 1919 und 1933 mehrere hundert kritische Publikationen über Einsteins Lehren aus der Feder von Physikern, Philosophen und Mathematikern, freilich meist im Selbstverlag der Autoren, bei kleinen unbekannten Verlagen oder in peripheren Zeitschriften. Im Jahre 1931 gelang es H. Israel und Mitarbeitern, ein Sammelwerk «100 Autoren gegen Einstein» in Leipzig herauszubrin­gen, das Beiträge von 100 Autoren und Hinweise auf deren sonstige Ar­beiten zum Thema enthielt. Unter ihnen waren die Professoren der Philo­sophie Kraus, Lipsius, Frischeisen, A. Müller, Häring, Goldschmidt, die Physikprofessoren Gehrcke, Le Roux und Lenard. Das Echo war gering. Vor allem gelang es den Kritikern nicht, die Vertreter der Relativitäts­theorie zu einer sachlichen Diskussion zu bewegen. Sie gaben auf die Kri­tik keine Antwort; es ist bis heute so geblieben. 

Mit dem Jahr 1933 wurde in Deutschland die Diskussion um Einsteins Lehren auf ein anderes Geleise geschoben. Es gab nur noch Kritik, be­schränkt auf die idiotischen Argu­mente der Rassenfanatiker, die während der folgenden 13 Jahre die Szene beherrschten. Die Relativitätstheorie war plötzlich ein Politikum geworden. Einstein wurde verteufelt, weil er Jude war. [ Fußnote: Nur im stillen verteidigte ein Konzil von Physikern die spezielle Relativitätstheorie, nicht ohne den Hinweis, daß sie eigentlich von «arischen» Physikern wie Lorentz, Poincaré und Hasenöhrl stamme und von Einstein nur fortentwickelt worden sei. ]. 

Umgekehrt stellte sich die westliche Welt umso mehr hinter Einstein als den Verfolgten. Auch hier wagte sich die Kritik erst nach dem Krieg wieder hervor. Seit 1950 ist ein gewisses Anwachsen der kritischen Literatur über die Relativitätstheorie in englischer Sprache zu verzeich­nen; nur finden die kritischen Meinungen auch jetzt nicht entfernt die Publizität wie die relativistischen. In Deutschland blieb die Kritik so gut wie stumm, aus Sorge, politisch mißver­standen zu werden. Die eben her­angewachsene Gene­ration war geneigt, Dinge, die der Nationalsozialis­mus verteufelt hatte, ungeprüft als Wahrheit zu akzeptieren. Soweit es sich um Wissenschaft handelte, war ein solches Verhalten ebenso töricht wie das vorangegangene mit dem umgekehrten Vorzeichen. Aber man sah wieder, daß es hier nicht nur um Wissenschaft ging. 

Die einzige größere kritische Publikation in deutscher Sprache seit dem Zweiten Weltkrieg war das Sammelwerk «Kritik und Fortbildung der Re­lativitätstheorie», herausgegeben von K. Sapper, Professor der Naturphi­losophie in Graz (2 Bände 1957/58). 22 Autoren verschiedener Fächer haben Beiträge geliefert. Der Herausgeber hatte wieder über die man­gelnde Diskussions­bereitschaft der Physiker, den «Dogmatismus der relativisti­schen Schulphysik», zu klagen. Auf die Aufforderung zu einer Diskussion antwortete ein Physiker, die Relativitäts­theorie habe sich seit 40 Jahren so bewährt, daß von einer weiteren Diskussion keine neuen Ge­sichtspunkte zu erwarten seien. (Wie es mit dieser Bewährung aussieht, haben wir zur Genüge besprochen.) Auch H. Dingle in England (1967), früher Vorkämpfer, später Kritiker der Relativitätstheorie, machte die Erfahrung, daß die Relativitätstheoretiker entgegen dem wissenschaftli­chen Brauch einer Diskussion ausweichen.  

Sapper verweist darauf, daß das von ihm herausgegebene Werk von den physikalischen Fachzeitschriften totge­schwiegen wurde. Das Relativitäts-Establishment wehrt jede Kritik ab. Eine gelegentliche Antwort zeigt immer dasselbe Muster:  

1. Wiederholung der alten Behauptungen.
2. Kein Eingehen auf die Argumente der Kritik.
3. Schimpfen, insbeson­dere die Behauptung, der Kritiker verstehe die Relativitätstheorie nicht oder sei fachlich nicht qualifiziert, über sie zu reden. 
(Um die logischen Widersprüche der Relativitätstheorie zu erkennen, muß man allerdings weder Physiker noch Mathematiker sein. Man könnte umgekehrt fragen, wie es mit der philosophischen Qualifikation der Relativitäts­theoretiker steht.) 

Unter den Studenten macht sich Unbehagen über die dogmatische Haltung der Relativisten bemerkbar. Nach Sapper ist es doch wohl nicht ohne Grund, daß die Relativitätstheorie so viele Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen immer noch scharf angegriffen wird und die Kritik in neuerer Zeit sichtlich zunimmt. Auf der anderen Seite wird der Einstein-Mythos von immer neuen Biographien genährt. Ein Biograph, sein früherer Mit­arbeiter Banesh Hoffmann, nennt Einstein einen «Künstler der Wissen­schaft». Dem kann man, wenn auch in einem anderen Tonfall, zustim­men.

(Zitatende)

Nähere Informationen zu dem Buch von Walter Theimer finden Sie hier!

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