Das Realprinzip als Erkenntnisstrategie

Von Helmut Hille

Hinweis aus dem GOM-Projekt: 2394 weitere kritische Veröffentlichungen
zur Ergänzung der Dokumentation Textversion 1.2 – 2004, Kapitel 4. 

Das Realprinzip als Erkenntnisstrategie  –  fastbot
Heute möchte ich noch einmal an die zahlreichen erkenntniswissenschaftlichen Arbeiten von Herrn Helmut Hille erinnern. Zunächst bringe ich davon nur einen kleinen Auszug:
Das Realprinzip als Erkenntnisstrategie von Helmut Hille
, Deutschland
Vortrag auf der DPG-Physikertagung März 1995 in Duisburg FV DD, Tagungsband S. 176-181 

Zitat: 
1. Der Faktor “Beziehung”
Anläßlich zweier Vorträge über die Relativität von Wirklichkeit im Rahmen der “Wiener Vorlesungen” im Rathaus von Wien, “einem internationalem Forum für bedeutende Persönlichkeiten”, hat der bekannte Philosoph und Psychologe Paul Watzlawick “zur Erweiterung unserer Sichtweise durch den Faktor ‘Beziehung’” auf folgendes hingewiesen.
“Wir müssen umdenken lernen. Wie das aussehen kann, dafür bietet uns Bertrand Russell einen sehr wichtigen und brauchbaren Hinweis. Er verweist darauf, daß ein häufiger Fehler in der Wissenschaft darin liege, zwei Sprachen zu vermengen, die streng voneinander getrennt sein müßten. Nämlich die Sprache, die sich auf die Objekte bezieht, und die, die sich auf Beziehungen bezieht. Ein Beispiel: wenn ich sage, dieser Apfel ist rot, dann habe ich in der Objektsprache eine Eigenschaft dieses Objektes Apfel bezeichnet. Sage ich dagegen, dieser Apfel ist größer als jener, dann habe ich eine Aussage über die Beziehung gemacht, die sich nicht mehr auf den einen oder den anderen Apfel zurückführen läßt. Die Eigenschaft des Größerseins kann nur in Bezug auf die Beziehung verstanden werden. Das ist so schwer zu begreifen. Unser beginnendes Verständnis der Eigenschaften von Beziehungen ist noch ein sehr rudimentäres und gibt uns bisher eigentlich mehr Rätsel auf als Erklärungen.”  

Beziehungen oder lat. Relationen existieren rein mental im Anschauungsraum des Beobachters und entstehen durch geistige Verknüpfungen, z. B. von Objekten. Durch Verknüpfung ordnen wir Objekten uns Verständnis gebende Eigenschaften zu, die sie nicht für sich selber haben, z. B. die des Größerseins. Wollen wir der Klarheit und Wahrheit wegen die verfälschende Vermischung von Ebenen vermeiden, dann müssen wir als erstes aufhören, Aussagen zu Relationen mit dem Prädikat “objektiv” zu belegen. 

Objektiv kann immer nur etwas sein, was einem Objekt und ihm allein zugehört. 

Dagegen gehören alle nichtkausalen Beziehungen in die Sphäre des Subjekts und haben ihre Wahrheit einzig durch sein Verständnis von Objekten. Erst wenn wir aufhören, uns darüber Illusionen zu machen und wenn wir Relationen als Relationen erkennen, lernen wir, zwischen Objekt- und Subjektebene und letztlich auch zwischen Denken und Sein zu unterscheiden und die verfälschende Vermengung der Ebenen zu vermeiden. Je klarer jemand durch die Erweiterung seiner Sichtweise erkennt, zu welcher Ebene seine jeweilige Aussage gehört, ein umso besseres Objektverständnis kann er gewinnen. Oder wie Parmenides sagte: “Denn nicht ohne das Sein … wirst Du das Erkennen finden.” 

Meiner Überzeugung nach muß es das Ziel in den Naturwissenschaften sein, gedanklich so weit wie möglich aus der Ebene der Relationen in die Objektebene vorzustoßen und von ihr aus zu argumentieren. Diesen anzustrebenden Argumentationsgrundsatz nenne ich das “Realprinzip”. Ich verstehe ihn als einen Grundsatz, den die Vernunft mir nahelegt, wenn ich erkenne, daß ich zwischen Relationen und Realitäten unterscheiden muß und zu bedenken habe, daß nur vom Realen und nicht von Relationen kausale Wirkungen ausgehen können: Nur Sachen können Ursache sein! Gingen von Relationen, die nur mental existieren, also vom Gedachten, Wirkungen aus, dann fielen diese nicht mehr in den Bereich der Wissenschaft, als der Kunde vom Seienden, sondern in den der Magie. 

So verkörpert das Realprinzip als Denkprinzip den Geist der Wissenschaftlichkeit. 

In seinem Sinne werden von mir im folgenden Text die Eigenschaften “objektiv” und “subjektiv”, rein sachlich, auf die ontisch unterschiedlichen Ebenen verweisend, ohne jede qualifizierende oder emotionale Wertung gebraucht. 

2. Wie objektiv ist Bewegung?
Wenn wir zur Wahrung des Realprinzips immer nur “objektiv” nennen wollen, was einem Objekt von sich aus zugehört und keine Zugabe des Beobachters ist, so ist die Selbstbewegung eines Lebewesens mittels seiner Muskeln etwas Objektives, weil es sein eigener und aktiver Zustand ist. Wenn jedoch ein Objekt, das zu verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedlichen Relationen gesehen wird, z. B. ein fliegender Pfeil, nur durch die Verknüpfung abfolgender Beobachtungen und deren Vergleich als “bewegt” erscheint, während dieser Zeit selbst aber im immer gleichen Zustand ist, dann ist “Bewegung” kein objektiver Zustand des “Bewegten”. Wirkungen können daher von ihm erst dann ausgehen, wenn aus der sog. “Bewegung” eine reale Begegnung wird, z. B. mit einem Vogel, der dann getroffen vom Himmel fällt. Ein natürlicher physikalischer Gegenstand mag uns daher im Relationenvergleich ruhend oder bewegt erscheinen, doch für sich verharrt er lediglich in seinem Zustand, “sofern er nicht durch eingedrückte Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird.” (Newton, 1. Axiom2)) Indem der Realist Newton den objektiven Realzustand kraftfreier Körper erkannte, konnte er die Dynamik begründen. Die klassische Dynamik ist zugleich die klassische Anwendung des Realprinzips. Wenn ihre Axiome heute so wenig Verständnis finden, dann liegt dies auch an der Vermischung der Ebenen durch Newton, der trotz der Erkenntnis, daß ein kraftfreier Körper lediglich in seinem Zustand verharrt, im gleichen Atemzug von “seinem Zustand der Ruhe oder der … Bewegung” sprach, der aber nur eine Wertung des vergleichenden Denkens ist. Unterscheidet man am Körper jedoch Sein und Schein, dann gibt es kein Problem: Für sich verharrt er, für uns ist er im Zustand der Ruhe oder der Bewegung! 

Da die Evolution nur durch Versuch und Irrtum am Erfolg ausgerichtete Erkenntnismechanismen entwickeln kann, gehört zu allen Aussagen, die nicht rein logisch sind, ein meist nicht bewußtes, am Erfolg ausgerichtetes Hintergrunddenken, mit dessen Hilfe wir unsere Urteile bilden. Wenn wir, aller Logik und Erfahrung trotzend, hartnäckig darauf bestehen, daß auch tote Dinge objektiv bewegt sind, wenn wir sie bewegt sehen, obgleich sie nichteinmal Bewegungsorgane haben, um einer solchen Rede auch nur den Anschein von Objektivität geben zu können, so verdanken wir dies einem nicht bewußt gemachten, von unseren Vorfahren überkommenen Rest animistischen Verstehens. In Ermangelung objektiver Kriterien gewinnt das animistische Denken sein Verständnis, indem es von sich auf anderes schließt. Sieht es etwas aus seinem Umfeld herausgehoben bewegt, z. B. entgegen einer vom Wind verursachten allgemeinen Bewegung, versteht es dieses Verhalten, in Analogie zu sich selbst als Animalischem, spontan als eine aktive und damit reale Eigenbewegung des durch sein Verhalten auffallenden Objekts – womit es in den für sein Überleben relevanten Fällen des Beutemachens und Gejagtwerdens auch richtig liegt. Und wegen der langen Erfolgsgeschichte dieser nützlichen Hypothese hält der alte Beutegreifer in uns an der Objektivität jeder Bewegung fest. Wenn sie sich bei Messungen nicht bestätigt, ist er lieber bereit, die Meßmittel für fehlerhaft zu halten, als seine natürliche Überzeugung infragezustellen. Trotzdem ist sie nur eine unzulässige Analogie zum Lebendigen, die Physiker, samt dem unangepaßten biomorphen Vokabular, schleunigst ablegen sollten. 100 Jahre Kino sollten Beweis genug sein, daß Bewegung ein Phänomen ist, das im Kopf des Zuschauers entsteht, wenn er wechselnde Bilder miteinander vergleicht – im Kino wie im Leben. Nicht das Kino erzeugt irgendeine Illusion sondern die eingefahrene Sehweise des Zuschauers tut dies von sich aus. Kino und TV machen sich diese nur zunutze und die Überzeugung von der unterschiedslosen Objektivität jeder Bewegung wird jeden Tag noch etwas anachronistischer. Dabei wußten und sagten schon die vorsokratischen Eleaten, “daß Bewegung nicht existiert”, nämlich als eine objektive Eigenschaft des Bewegten. 

Zitatende 

Lesen Sie bitte hier weiter! 

Siehe auch:
WEGE DES DENKENS
ZEIT UND SEIN
Das Realprinzip als Erkenntnisstrategie 

Beste Grüße Ekkehard Friebe 

Kommentare

Einen eigenen Kommentar schreiben

Hinterlassen Sie eine Antwort

Erlaubter XHTML-Code: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>