Die Erörterung der philosophischen Fragen der Relativitätstheorie 1960
By N. F. Ovtchinnikov
Beitrag aus dem GOM-Projekt: 2394 weitere kritische Veröffentlichungen
zur Ergänzung der Dokumentation Textversion 1.2 – 2004, Kapitel 4.
Die Erörterung der philosophischen Fragen der Relativitätstheorie / N. F. Ovtchinnikov.
In: Für einen neuen Aufschwung von Naturwissenschaft und Philosophie. Berlin (Ost) 1960, S. 48 – 61.
Berichtet über Vorträge und Diskussionen zur Relativitätstheorie auf der "Allunionskonferenz der UdSSR zu den philosophischen Fragen der modernen Naturwissenschaft" (Moskau, 21.-25.10.1958). Die Zitate sind Texte von Ovtchinnikov; Ovtchinnikovs Zitate aus den Konferenzvorträgen sind durch die Anfangsbuchstaben der behandelten Autoren gekennzeichnet.
S. 48-49: "Die Frage nach der Abhängigkeit der Masse, der Länge und der Zeit von der Bewegungsgeschwindigkeit der Körper und die Frage nach dem Zusammenhang von Energie und Masse" seien zwar schon vor 50 Jahren aufgetreten und diskutiert worden, dürften aber nicht als "veraltete ‚rückwärtige‘ Probleme" von der Diskussion ausgeschlossen werden, sondern gehörten notwendig zu einer Analyse der philosophischen Probleme der Theorie und zur Entwicklung einer "richtigen wissenschaftlichen Denkmethode".
Es "sind alte und gleichzeitig auch ewig neue Fragen, die stets aufs neue erörtert werden müssen". – S. 51: Hält es für "grundsätzlich verkehrt", den logischen Aufbau einer Theorie nur deshalb nicht zu analysieren, weil "diese Theorie vor vielen Jahrzehnten aufgestellt wurde."
S. 51-55: Vortrag von A. D. Alexandrow und Diskussion. Einerseits unterstreicht A. "den unvergänglichen Wert der Resultate der Relativitätstheorie", andererseits muß man aber auch "Kritik üben" an den "philosophischen Voraussetzungen" und den "philosophischen Schlußfolgerungen" der Theorie und "in gewissem Sinne auch an dem physikalischen Inhalt der Theorie".
A. befürwortet eine Umgestaltung der Theorie; "der Aufbau der Theorie selbst und die Auffassung ihres Wesens" müssen anders erfolgen; die Logik des Aufbaus der Theorie muß (A.) "in gewissem Sinne der Einsteinschen gerade entgegengesetzt" sein. A. will die Theorie nicht von Wechselwirkungszusammenhängen, sondern von den raum-zeitlichen Verhältnissen aufbauen.
S. 55-56: A. A. Tjapkin fragte, "welche Eigenschaften der Bewegung" von den Lorentz-Transformationen dargestellt werden, fragte nach der "Natur der relativistischen Effekte", nach ihren Ursachen. Er will wissen, "worin eigentlich die Ursachen dafür liegen, daß in sich bewegenden Systemen alle Prozesse ihren Rhythmus verändern". In der "gewöhnlichen Darstellung" der Theorie sei alles (T.) "vom Fuß auf den Kopf" gestellt, indem man mit den Lorentz-Transformationen beginnt und von ihnen dann das Gesetz der Veränderung der Masse mit der Geschwindigkeit abgeleitet. "In Wirklichkeit" muß man jedoch "die Ursache der relativistischen Verhältnisse", z. B. im Falle eines Elektronenbeschleunigers, "im realen Prozeß der Beschleunigung des Elektrons am Ausgang der Röhre als einem dynamischen Prozeß" suchen. Tjapkin behandelte auch die relativistische Zeitdilatation, jedoch waren diese Ausführungen "dem Verständnis nicht genügend zugängig".
S. 56: Alexandrow bestreitet die Realität der relativistischen Effekte: "daß die relativistischen Effekte nicht eine Änderung der Eigenschaften der Körper betreffen, sondern daß sie sich auf die Erscheinung dieser Eigenschaften im Verhältnis zu dem einen oder anderen Körper beziehen." S. 57: Zur ART verneint Alexandrow die Möglichkeit einer Verallgemeinerung des speziellen Relativitätsprinzips. Die ART betrachtet er nur als eine Gravitationstheorie.
S. 58-59: A. L. Selmanow kritisiert die ART: "So fehlt also die allgemeine Relativität im ursprünglichen Sinne Einsteins faktisch in seiner Theorie". Weil A. F. Fock gezeigt hat, daß "bevorzugte (harmonische) Koordinatensysteme existieren", kommt Selmanow zu dem Schluß: "Aus dem Fehlen der allgemeinen Relativität im Sinne der Existenz harmonischer Systeme ergibt sich die Ablehnung der allgemeinen Relativität im Sinne der Relativität der Trägheit."
— Offensichtlich ist in der Konferenz versucht worden, kritische Erörterungen über die Relativitätstheorien mit dem Argument zu verhindern, die Theorien seien hinreichend bewährt und bestätigt. Ovtchinnikov als einer der Kritiker der Theorie weist deshalb eingangs alle derartigen Versuche zurück. – Sein Bericht bleibt in vielen Passagen umständlich-abstrahierend, so daß der Leser möglichst auch die zwei Jahre später ins Deutsche übersetzten Vorträge in dem Sammelband "Philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaft", Berlin 1962, hinzuziehen sollte.