Kernfusion ist keine Alternative

Dr. </p> <p>Benecke

 
Kernfusion ist keine Alternative
von Professor Dr. Jochen Benecke, Elementarteilchen-Physiker in München

Quelle:
BENECKE, J. (1987): „Kernfusion ist keine Alternative“,
Zeitschrift „bild der wissenschaft“, 1987, H. 2, S.128

Zitat:

„Selbst wenn das Fusionsprogramm einen Reaktor hervorbrächte, würde ihn niemand haben wollen“, schrieb Lawrence M. Lidsky im Herbst 1983 in Technology Review, der Hauszeitschrift des Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Er war stellvertretender Direktor des Plasma-Fusions-Zentrums am MIT und Herausgeber des Journal of Fusion Energy. Sein Beitrag „Die Pannen der Fusion“, aus dem das Zitat stammt, und ein Artikel in der Washington Post sorgten zwar für Aufregung in der Fusions-Gemeinde, doch diese stellte ihr international abgestimmtes Programm nicht weiter in Frage. 

Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, wenn jetzt nach Tschernobyl Politiker und Gewerkschaftler verstärkt auf die Fusion verfallen und sie den Bürgern als Alternative zu den herkömmlichen Atomkraftwerken andienen. Forschungsminister Dr. Heinz Riesenhuber erklärte, mit NET (Next European Torus) als dem nächsten großen europäischen Fusionsexperiment stiege die „berechtigte Aussicht“, die Kernfusion als „nahezu unerschöpfliche Energie­quelle“ zu erschließen.

Schöne Aussichten! Der Ausstieg aus der Atomenergie könnte also folgendermaßen gedacht sein: Aussteigen müssen wir; „Atomkraft ist immer nur eine Übergangslösung gewesen“, meint jetzt auch Graf Lambsdorff von der FDP. Wir müssen uns nur Zeit lassen, so ungefähr 50 Jahre.

Nach den Ankündigungen der Fusions-Manager sind wir dann soweit, daß wir auf den Betrieb eines Fusionskraftwerks hoffen können – und wenn es damit etwas länger dauern sollte, dann bliebe uns eben die herkömmliche Atomkraft noch länger erhalten. Eines Tages aber würde die Atomkernspaltung durch eine andere Art der Atomkraft ersetzt, die der Kernverschmelzung.

Um die Kraftwerkseignung der Kernfusion zu ergründen, ließ das amerikanische Energieministerium detaillierte Reaktorstudien anfertigen. Aus ihnen und aus einer Fülle von Einzelüberlegungen zieht Lidsky den Schluß, daß ein Fusionskraftwerk für den kommerziellen Einsatz zu teuer und zu unzuverlässig sein wird.

Die Beherrschung der Kernfusion ist ein hochgestecktes wissenschaftliches Ziel. Aber dieses Ziel erweist sich als ein technischer Alptraum: Extreme Temperaturdifferenzen bewirken extreme Wärmespannungen in der Wand des Plasmagefäßes. Mit Deuterium und Tritium als Brennstoff – physikalisch die am ehesten realisierbare Kernverschmelzung – sind die aus einem Spezialstahl gefertigten Strukturteile einem Hagel sehr energiereicher Neutronen ausgesetzt; der Neutronenbeschuß macht die Materialien radioaktiv und spröde.

Falls das Plasma mit Hilfe von Magnetfeldern eingeschlossen wird – was für den Kraftwerksbetrieb anderen Lösungen vorzuziehen ist -, wird die Struktur obendrein durch gewaltige magnetische Kräfte belastet. Natürlich könnten die genannten Randbedingungen verändert werden. Es ist zum Beispiel denkbar, auf neutronen­freie Reaktionen auszuweichen. Dann aber müßten die Temperaturen und Magnetfelder noch höher sein. Auf diese Weise werden die Probleme nur verschoben.
    

Zur Sicherheit von Fusionskraftwerken:
So etwas wie eine Kernschmelze mit katastrophaler Freisetzung von Radioaktivität, wie beim herkömmlichen Atomkraftwerk, gibt es bei der Fusion nicht. Die Analysen von Reaktor-Entwürfen deuten an, daß schwere Unfälle mit kleineren Wahr­schein­lich­keiten als beim Spaltungs­reaktor zu erwarten sind, leichte Unfälle dagegen mit höheren Wahr­schein­lich­keiten.

Leicht ist hier nicht gleichbedeutend mit harmlos: Bei vielen der leichten Unfälle eines Fusionskraftwerkes muß damit gerechnet werden, daß Tritium freigesetzt wird Tritium ist radioaktiv und tritt über da‘ Wasser in den Biokreislauf ein.

In der Öffentlichkeit werden Fusionskraftwerke im Vergleich zu Spaltungskraftwerken gewöhnlich deshalb als sicherer dargestellt, weil sie weniger Radioaktivität enthalten. Sie enthalten aber doch so viel davon, daß Reparaturen im nuklearen Bereich nicht manuell auszuführen sind.

Selbst bei einem der leichten Unfälle kann der Fusionsreaktor für lange Zeit unreparierbar sein, da fernbedientes Reparieren kompliziert und nicht sonderlich zuverlässig ist. Wegen der Häufigkeit, mit der leichte Unfälle zu erwarten sind, stellt der Fusionsreaktor für den Betreiber ein unkalkulierbares finanzielles Risiko dar.

Wer mehr Details über die Dimensionen eines Fusionsreaktors und die zu erwartenden Stromkosten wissen möchte, braucht nicht einmal nach den USA zu schauen: Zwei Mitglieder der Wissenschaftlichen Leitung des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, Dieter Pfirsch und Karl-Heinz Schmitter, veröffentlichten 1984 „Einige kritische Beobachtungen zu den Aussichten der Fusionsenergie“: Plasmaphysikalische Bedingungen und Material-Eigenschaften haben zur Folge, daß die Leistungsdichte eines Fusionsreaktors nur einen Bruchteil derer eines Druck­wasser­reaktors betragen wird: nur ein achtzigstel, falls angenommen wird, daß die Wand des Plasmagefäßes aus dem üblichen Spezialstahl besteht und eine Lebensdauer von fünf Jahren hat.

Hierzu muß die Wand anfangs wenigstens zehn Millimeter stark sein – im Neutral­teilchen­hagel wird sie dünner. Bei vergleichbarer Leistung ist also das Volumen des „nuklearen Boilers“ eines Fusionsreaktors achtzigmal größer als das entspre­chende Volumen des Druckbehälters eines Druckwasserreaktors.

Das größere Volumen des Fusionsboilers schlägt sich in den Kapitalkosten und letztlich im Strompreis nieder: Selbst unter sehr optimistischen Annahmen wäre die Kilowattstunde Fusionsstrom (ab Kraftwerksklemme) zehnmal teurer als Strom aus Druckwasserreaktoren. Die Annahmen sind: kaum größere Komplexität, kaum geringere zeitliche Verfügbarkeit und keine Brennstoffkosten im Falle der Fusion.

Pfirsch und Schmitter ziehen den Schluß, daß Fusionsreaktoren für den Kraftwerksbetrieb kaum geeignet sein werden: Wegen ihrer Größe taugen sie nur für die Grundlast, und wegen ihrer zu erwartenden geringen Verfügbarkeit sind sie gerade für die Grundlast ungeeignet.

Wenn wir nicht aufpassen, verkaufen uns also die Wissenschaftsmanager und die Politiker eine Alternative, die keine ist.

(Zitatende)

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